von Astrid



“Als ich im September 2018 Halsschmerzen bekam, war Krebs der letzte Gedanke, der mir in den Sinn kam. Mein Leben ging seinen normalen Lauf. Ich hatte Termine, kaufte ein, holte meine Kinder ab. Die Schmerzen wurden stärker, ich ging zum Arzt. Er verordnete mir Halstabletten.

Doch dann bekam ich Fieber und fühlte mich schwächer. Mein Arzt machte einen Bluttest. Wenig später kam der Anruf, der mein Leben veränderte. Ein Wort, mit dem ich niemals gerechnet hätte. Leukämie. Meine Blutergebnisse könnten darauf hinweisen. Ich solle sofort für weitere Tests ins Krankenhaus fahren.

Ich war mir sicher: Das muss eine Verwechslung sein. Das Labor muss meine Blutprobe vertauscht haben. Doch nach einer Stunde in der Klinik wurde die Diagnose bestätigt: Akute Myeloische Leukämie, eine besonders aggressive Form von Blutkrebs. Die Ärzte drängten mich, sofort mit der Chemotherapie zu beginnen.

"Ich war mir sicher: Ich würde das überleben."

Ich dachte an meine Kinder. Der Gedanke, sie nicht aufwachsen zu sehen, ist für mich absolut unerträglich. Ich dachte an meinen Mann. Unsere Familie hatte bereits einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Mein Mann war vor fünf Jahren mit dem Motorroller unterwegs, als ein Auto plötzlich eine Wendung machte und ihn erfasste. Er ist seitdem querschnittsgelähmt.

Aber er hat überlebt. Mit unglaublichem Lebensmut und bewundernswerter Stärke. Und mit der Fähigkeit, Hilfe anzunehmen. Er ist ein großes Vorbild für mich. Mit einem solchen Kampfgeist begann ich meine Chemotherapie. Ich war mir sicher: Ich würde das überleben.

Mir fielen die Haare aus. Wegen starker Schmerzen hing ich über Wochen am Morphiumtropf. Aber die Chemo schlug an, zunächst sah alles gut aus. Leider war der Erfolg nicht von Dauer. Im Januar 2019 wurde klar: Ich werde eine Stammzellspende benötigen, um diesen Krebs schlagen zu können.

Zu wenig Menschen kennen sich mit Stammzellenspenden aus

In den darauffolgenden Wochen sollte ich sehr viel zum Thema Stammzellspenden lernen. Schnell merkte ich, wie viele Missverständnisse es leider gibt.

Die erste Erkenntnis war, dass eine Stammzellspende heute für den Spender sehr unkompliziert und ohne Operation abläuft. Das Verfahren ähnelt einer Blutspende. Das wissen viele nicht.

Die zweite Erkenntnis aber war ein Schock: Für mich ist es sehr, sehr schwer, einen geeigneten Spender zu finden – aufgrund meiner gemischten Herkunft. Auf der ganzen Welt, unter mehr als 30 Millionen registrierten Spendern, ist bisher niemand dabei, der für mich passen könnte…

Weniger als drei Prozent der registrierten Spender haben einen Genmix

Ich bin halb Nigerianerin, halb Deutsche. Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass der ethnische Hintergrund für eine Stammzellspende eine Rolle spielt. Viel zu wenige Menschen wissen das.

Damit eine Spende erfolgreich sein kann, müssen bestimmte Gewebemerkmale bei Spender und Empfänger nahezu identisch sein. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist grundsätzlich sehr gering. Doch da inzwischen schon viele Menschen weltweit als Stammzellspender registriert sind, finden sehr viele Patienten inzwischen auch ihren Spender.

Leider gilt das aber nicht für alle. Einen “genetischen Zwilling“ findet man am ehesten in einem Menschen, der dieselbe ethnische Abstammung hat wie man selbst. Doch Zahlen aus Kanada zeigen, dass 70 Prozent aller registrierten Spender europäischer Abstammung sind. Spender mit “nicht-weißem“ Hintergrund gibt es viel zu wenige, wenn man bedenkt, dass 90 Prozent unserer Weltbevölkerung nicht weiß sind! Besonders extrem ist es bei gemischten Genen. Einen Genmix haben nach den Zahlen weniger als drei Prozent der registrierten Spender!

Das ist ein unglaubliches Missverhältnis. Ein weißer Mensch hat inzwischen eine Chance von mindestens 80 Prozent, einen passenden Stammzellspender zu finden. Wenn man schwarz ist, liegen die Chancen nur knapp über 20 Prozent. Und mit gemischtem Hintergrund gehen sie gegen Null.

Inzwischen suchen meine Freunde und Familie seit einem halben Jahr. Unser Ziel ist nicht nur, hoffentlich einen Stammzellspender für mich zu finden. Wir möchten auch aufklären. Viel mehr Menschen unterschiedlicher Ethnien müssen sich typisieren lassen, damit jeder Mensch dieselbe Chance bekommt. Es darf nicht länger eine Frage der Herkunft sein, ob man Blutkrebs besiegen kann!

"Jeder könnte ein Lebensretter sein"

Die Uhr tickt. Im Moment sind meine Krebszellen so weit zurückgedrängt, dass ich auch schöne Momente verbringen kann. Aber keiner kann sagen, wann sie auf einmal wieder anfangen werden, sich schlagartig zu vermehren. Je länger die Suche dauert, desto schwerer fällt es mir, auch negative Gedanken zur Seite zu schieben. Doch trotz allem sind mein Lebensmut und meine Lebensfreude ungebrochen. Ich will leben.

Bei unserer Suche und Aufklärungsarbeit brauchen wir Hilfe. Menschen, die unsere Botschaft weltweit weitertragen – vor allem in Ländern, in denen viele Menschen mit gemischtem Hintergrund leben, wie in Großbritannien und den USA. Menschen, die uns ein paar Stunden schenken, um ein Typisierungsevent zu unterstützen. Und natürlich viele Menschen, die sich registrieren lassen… Jeder könnte ein Lebensretter sein – für mich oder einen anderen Patienten.”

Mehr Informationen gibt es auf help-astrid.com und in den sozialen Medien unter help-astrid und #MatchMyMix. Zum Schutz ihrer Familie, insbesondere ihrer Kinder, möchte Astrid ihren Nachnamen lieber nicht veröffentlichen. 

Editorial

Armut beenden

“Ich finde aufgrund meiner afrikanischen Herkunft keinen passenden Stammzellspender”