Bei dem weltberühmten Sänger Neil Young denken die meisten an den abgetragenen Hut, die Mundharmonika und an den leicht hinkenden Gang. Was die wenigsten wissen: Letzteres ist keine Alterserscheinung des mittlerweile 74-jährigen Musikers. Sondern die Folge einer Polio-Erkrankung im Kindesalter. Dasselbe gilt für die verstorbene Malerin Frida Kahlo, bekannt für ihre ausdrucksstarken Portraits, markanten Augenbrauen und bodenlangen Kleider. Letztere trug sie vor allem, um ihre Beine zu verstecken.
Mit ihrer Diagnose sind und waren diese beiden Künstler*innen nicht allein: Hunderttausende von Menschen haben sich in der Geschichte des Polio-Virus mit der Krankheit infiziert. Das Virus greift die Nervenzellen des Menschen an, die für die Bewegungssteuerungen verantwortlich sind. Das kann zu lebenslangen Lähmungen führen. Im schlimmsten Fall ist auch die Atemmuskulatur betroffen. Vor der Erfindung moderner Beatmungsmethoden kam ein solcher Verlauf von Polio einem Todesurteil gleich.
Dank neuer Behandlungsmöglichkeiten und internationaler Bemühungen hat die Weltgemeinschaft es heute fast geschafft, Polio endgültig von der Weltkarte zu streichen. Die Erfolge der “Globalen Initiative zur Ausrottung von Polio“ (GPEI) können sich sehen lassen: Durch flächendeckende Impfkampagnen ist der Großteil der Menschheit heute vor der Krankheit geschützt. In Pakistan und Afghanistan geht der Kampf gegen das Virus weiter.
Vom Rock Star zur legendären Erfinderin bis zum weltberühmten Politiker: Die folgenden Geschichten zeigen, wie ein Leben mit Polio verlaufen kann.
1. Margarete Steiff
Margarete Steiff ist vor über 160 Jahren zur Welt gekommen, genauer gesagt am 24. Juli 1847 in Giengen an der Brenz.
Als sie gerade eineinhalb Jahre alt war, erkrankte Margarete. Sie bekam hohes Fieber und konnte ihre Beine und ihren rechten Arm nicht mehr bewegen. Damals war Kinderlähmung kaum bekannt und es existierte kein Impfstoff, so dass Margarete zwar die schwere Krankheit überlebte, allerdings fortan an den Rollstuhl gefesselt war.
Doch das hielt Margarete nicht davon ab, eine der bekanntesten Spielzeugherstellerinnen der Welt zu werden: Dank ihr haben tausende Kinder ein Kuscheltier mit Knopf im Ohr zum besten Freund.
2. Frida Kahlo
Die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo lebte von 1907 bis 1954 und ist berühmt für ihre farbenfrohen Selbstporträts. Im Alter von sechs Jahren erkrankte Frida an Polio und verbrachte neun Monate in ihrem Zimmer: „Alles begann mit höllischen Schmerzen in meinem rechten Bein”, erinnert sie sich später. „Sie wuschen mein Bein mit Walnusswasser und heißen Tüchern.”
Frida hatte Glück und überlebte die schwere Krankheit. Doch fortan versuchte sie, ihre Beine unter langen Röcken zu verstecken, damit niemand sehen konnte, dass ihr rechtes Bein wesentlich dünner und kürzer war als ihr linkes.
3. Neil Young
Als Neil Young fünf Jahre alt war, kam es in Kanada im Jahr 1951 zu einem verheerenden Polio-Ausbruch. Nachdem der kleine Neil mit seinem Vater in einem Fluss baden war, fühlte er sich mit einem Mal schwach, bekam Fieber und starke Rückenschmerzen. Als man ihn zum nächsten Gemeindearzt brachte, stand er vor der lebensverändernden Diagnose: Neil hatte sich mit Polio infiziert.
Seitdem ist die linke Körperhälfte des berühmten Musikers gelähmt, was ihm bis heute seinen hinkenden Gang beschert. Wie viele Musiker*innen, die an Polio erkrankten, verarbeitete auch Neil seine Erfahrungen jener Jahre in einem Song: “Helpless“.
4. Francis Ford Coppola
Es gibt nicht viele, die mit dem Namen Francis Ford Coppola nichts anfangen können. Wenn man sich in Hollywood umschaut, kommt man an diesem Regisseur einfach nicht vorbei: Der Pate, Apocalypse Now oder Dracula gehen auf seine Kappe.
Was hingegen wenige wissen: als kleiner Junge erkrankte Coppola an Polio. Erst nach einer sehr langen Zeit im Bett lernte er dank seines Vaters, der einen Physiotherapeuten einstellte, wieder laufen. In einem Interview erzählt Coppola über diese Zeit: „Als ich neun Jahre alt war, bekam ich Polio und eine Sache, die dann immer eintrat, war, dass die Leute um dich herum Angst hatten sich anzustecken. Also wurdest du isoliert. Ich blieb eineinhalb Jahre zu Hause. Eine ganze Weile lang war ich gelähmt. Ich habe überwiegend Fernsehen geschaut und Radio gehört und mit einem Tonbandgerät und Marionetten gespielt. So habe ich meine Tage verbracht.” - Francis Ford Coppola in einem Interview von 1994
5. Franklin D. Roosevelt
Der 32. Präsident der Vereinigten Staaten Franklin D. Roosevelt arbeitete zu seinen Lebzeiten hart daran, seine Krankheit vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Doch das Laufen fiel ihm sichtbar schwer, nachdem er sich im Sommer 1921 mit Polio infizierte. Oft nutzte Roosevelt einen Gehstock oder stützte sich bei seinen Sicherheitsbeamten und Angehörigen ab, wenn er auf medienwirksamen Veranstaltungen war. Um überhaupt gehen zu können, musste er zudem schwere Beinschienen tragen. Als er kurz vor seinem Tod im Jahr 1945 eine Rede bei einem Kongress halten sollte, bat er die Abgeordneten erstmals, ihm das Sitzen nicht zu verübeln. “Das macht es mir erheblich leichter, nicht zehn Pfund Stahl an den Beinen tragen zu müssen“, soll Roosevelt über seine körperliche Einschränkung gesagt haben.
Um anderen Poliokranken zu helfen, gründete er gemeinsam mit seinem Kanzleipartner zwei Stiftungen und förderte die Forschung nach einem Impfstoff während seiner Präsidentschaft wesentlich. Mit Erfolg: Wenige Jahre nach seinem Tod entwickelte der US-amerikanische Arzt Jonas Salk 1954 den Polio-Impfstoff, der auch heute noch Millionen von Menschenleben schützt.
6. Hildegard Knef
Auch die deutsche Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef erkrankte im Alter von sieben Jahren an Polio. Bei ihr war die Lähmung so schlimm, dass sie das Laufen noch einmal komplett neu lernen musste. Das hielt sie aber nicht von einer Karriere im Film und Fernsehen und auf der Bühne ab. Besonders bekannt geworden ist ihr Lied „Für mich solls rote Rosen regnen”.
7. Mia Farrow
Nicht viele haben so eine wahnsinnige Karriere hingelegt wie Mia Farrow. Als Schauspielerin, Model und Aktivistin ist sie weltweit bekannt. Mia hat in über 50 Filmen mitgespielt und zahlreiche Auszeichnungen gewonnen.
Aber nur wenige ihrer Fans wissen, dass auch Mia Farrow mit neun Jahren an Polio erkrankte und auf eine Isolierstation in einem Krankenhaus in Los Angeles gebracht wurde. Aus Angst, dass sich das Virus verbreiten könnte, wurden all ihre persönlichen Dinge verbrannt. Monatelang hatte sie keinen Kontakt zu ihren Geschwistern, bis sie sich erholte und das Krankenhaus verlassen durfte.
Nachdem sie vor der Kamera Karriere machte, wurde Mia Sonderbotschafterin für UNICEF und half bei verschiedenen Polio-Impfkampagnen auf der ganzen Welt aus, um die Krankheit endlich auszurotten. 2008 zählte das amerikanische TIME Magazin sie unter die einflussreichsten Menschen der Welt.
Damit sich diese Liste an Menschen, die sich mit Polio infizieren, nicht fortsetzt, muss die Weltgemeinschaft zusammenarbeiten und sicherstellen, dass jedes einzelne Kind den lebenswichtigen Impfstoff erhält. Und dafür, dass Menschen über die Notwendigkeit von Impfungen aufgeklärt werden – vor allem in einer Zeit verbreiteter Impfskepsis.